Lernt was Ordentliches! Aber was?


Der CDU-Generalsekretär twittert: „Wenn Sie was Ordentliches gelernt haben, dann brauchen Sie keine drei Minijobs“. 78 Zeichen von Peter Tauber, die einen Shitstorm auslösen und die auch mit seiner Entschuldigung nicht mehr zurechtzurücken sind. Seine Worte klingen nicht nur arrogant, sondern werden auch den Realitäten des Arbeits- und Ausbildungsmarktes nicht gerecht. Denn sogleich stellt sich die Frage: Was ist denn etwas Ordentliches? Wer kann denn in Zeiten der Digitalisierung und Globalisierung überhaupt noch abschätzen, welche Ausbildung, welches Studium eine Zukunft hat? 71 Prozent der Minijobber haben eine Ausbildung. Auch die goldene Regel, ein Studium ist eine Garantie auf einen einträglichen Job, gilt längst nicht mehr. Denn immerhin 9 Prozent der Minijobber haben einen akademischen Abschluss. Das Beispiel Peter Tauber zeigt, dass selbst Personen, die es eigentlich besser wissen sollten, die Orientierung verloren haben. Wahrheiten, Halbwahrheiten, Unwahrheiten – keiner kennt sich mehr aus. Vier Thesen von Professor Christian Mahler, Studiengangsleiter Film + Motion Design an der University of Applied Sciences Europe, zur aktuellen Ausbildungssituation an den Hochschulen:

1. Der Bedarf der Wirtschaft deckt sich nicht mit den Bedürfnissen/Vorlieben der Studierenden

Auf der einen Seite sind Hochschulen angehalten sich mit innovativen Studiengängen auf den sich wandelnden Bedarf der Wirtschaft einzustellen. Insbesondere durch die fehlgeleitete Bologna-Richtlinie, dass im Zuge der Umstellung auf Bachelor und Master-Studiengänge möglichst viele neue Studiengänge entstehen sollten. Auf der anderen Seite interessieren sich zu wenig Studierende für die neuen Studienfächer. Das Paradox: Auch Studiengänge deren Absolventen schon auf der Abschlussfeier Arbeitsverträge angeboten wurden, finden oftmals nicht genügend interessierte Studierende. Neue Konzepte werden nur zögerlich adaptiert. Studierende sind oftmals nicht mutig genug oder denken – von Hause aus – zu traditionell. Ein Studiengang mit einem Titel, den die Eltern nicht verstehen, hat es schwer sich am Markt zu etablieren.

2. Studierende ohne Kenntnisse des Arbeitsmarktes sind mit vielen Entscheidungen überfordert – die Beratungsinstitutionen empfehlen in die falsche Richtung

Gerade Studierende im Erststudium (Bachelor) sind gezwungen, Entscheidungen über Studienfächer und -inhalte zu treffen, deren Konsequenzen sie noch gar nicht absehen können. Wer weiß im Alter von 19 Jahren schon genau was User Experience Design ist, welche Spezialisierungen möglich sind und welche Weiterentwicklungs-möglichkeiten es gibt, wie gut die Auftragslage so im Allgemeinen ist und mit welchen Margen zu rechnen ist? Die Lücke zwischen der Entscheidungstragweite und den Einblicken, die junge Menschen in dem Alter überhaupt schon – insbesondere in die Digitalwirtschaft – haben können, wird immer größer. Die klassischen Studienberatungen, aber auch Eltern und Lehrer, sind oftmals schlechte Ratgeber, da auch hier wenig Einblick in den Bedarf der Wirtschaft existiert.

3. Flexibilität und Progressivität sind Soft Skills, die in der Arbeitswelt immer wichtiger und zentraler werden – im Studium aber nur eine geringe Rolle spielen

Wer progressiv und risikobereit und gleichzeitig flexibel ist (und es auch bleibt), hat die besten Voraussetzungen nach dem Studium im Job die Nase vorne zu haben. Diese Fähigkeiten gilt es im Studium zu erwerben oder auszubauen. Die Verschulung der Studienabläufe und -prozesse bietet nur noch rudimentäre Möglichkeiten dazu. Mehr akademische Freiheiten für die Studierenden – also Raum sich auszuprobieren – wären hier förderlich. Das ist von Hochschule zu Hochschule und von Studienprogramm zu Studienprogramm unterschiedlich geregelt. Wer nur nach Stundenplan studiert, wird es später schwer haben – in einer Arbeitswelt deren Digitalisierung erst am Anfang steht.

 

4. Hochschulen bilden für den aktuellen Bedarf aus – nicht für den Bedarf der Zukunft

Hochschulen, die sich mehr und mehr zu reinen Lehrinstitutionen entwickeln – und mangels Budgets kaum noch Forschung betreiben – reduzieren sich zwangsläufig auf Inhalte, die zwar aktuell aber bereits etabliert sind. Wer keine Neuerungen erforscht, kann sie auch nicht lehren. Vor diesem Hintergrund ist die Zukunftsfähigkeit der akademischen Ausbildung in Hinsicht auf Employability nicht durchgehend gesichert. Forschung und Fortschritt hängen hier eben auch in der Ausbildung zusammen.


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